Karlsruhe – Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mehrere Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen, die sich gegen das vollständige oder teilweise Verbot von Präsenzunterricht an allgemeinbildenden Schulen zum Infektionsschutz („Schulschließungen“) nach der vom 22. April bis zum 30. Juni 2021 geltenden „Bundesnotbremse“ richten.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit dieser Entscheidung erstmals ein Recht der Kinder und Jugendlichen gegenüber dem Staat auf schulische Bildung anerkannt. In dieses Recht griffen die seit Beginn der Pandemie in Deutschland erfolgten Schulschließungen in schwerwiegender Weise ein, wie die in den sachkundigen Stellungnahmen dargelegten tatsächlichen Folgen dieser Maßnahmen deutlich zeigen. Diesem Eingriff standen infolge des dynamischen Infektionsgeschehens zum Zeitpunkt der Verabschiedung der „Bundesnotbremse“ Ende April 2021, zu dem die Impfkampagne erst begonnen hatte, überragende Gemeinwohlbelange in Gestalt der Abwehr von Gefahren für Leben und Gesundheit und für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems gegenüber, denen nach der seinerzeit vertretbaren Einschätzung des Gesetzgebers auch durch Schulschließungen begegnet werden konnte.
Dafür, dass der Gesetzgeber in dieser Situation den Schülerinnen und Schülern den Wegfall von Unterricht in der Schule trotz der damit verbundenen schwerwiegenden Belastungen zumuten konnte, waren unter anderem folgende Faktoren von Bedeutung: Zu vollständigen Schulschließungen kam es – anders als bei den sonstigen Beschränkungen zwischenmenschlicher Kontakte – nicht bereits bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 im jeweiligen Landkreis oder der jeweiligen kreisfreien Stadt, sondern erst bei einem weit höheren Wert von 165. Die Länder waren verfassungsrechtlich verpflichtet, wegfallenden Präsenzunterricht auch während der Geltung der „Bundesnotbremse“ nach Möglichkeit durch Distanzunterricht zu ersetzen.
Die Schulschließungen waren auf einen kurzen Zeitraum von gut zwei Monaten befristet; damit war gewährleistet, dass die schwerwiegenden Belastungen nicht über einen Zeitpunkt hinaus gelten, zu dem der Schutz von Leben und Gesundheit etwa infolge des Impffortschritts seine Dringlichkeit verlieren könnte. Schließlich hatte der Bund bereits vor Verabschiedung der Bundesnotbremse Vorkehrungen mit dem Ziel getroffen, dass etwaige künftige, auch die Schulen betreffende Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie die Schülerinnen und Schüler möglichst nicht mehr derart schwerwiegend belasten. Dazu zählen unter anderem eine vom Bundesministerium für Gesundheit geförderte Studie zur Erforschung der Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen („StopptCOVID-Studie“) sowie Finanzhilfen des Bundes an die Länder im Rahmen des „DigitalPaktSchule“ von insgesamt 1,5 Milliarden Euro zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Durchführung digitalen Distanzunterrichts.